Dienstag, 18. September 2012

LATOUR 1959 1er Grand Cru, Pauillac

… ist nicht der monumentalste Jahrgang
(wie 1961) oder der archetypische
Klassiker (1982) dieses herausragenden
Chateaus, das in der zweiten Hälfte des
20. Jahrhunderts die konstanteste Qualität
der Bordelais erzeugte, aber unwiderstehlich
durch seine schmeichelnde, malzige
Süße. Unser Wein ist nicht sprichwörtlich
„hart wie ein Latour“, sondern beinahe
seidig. Die Struktur ist aber im Gegensatz
zu anderen großen 1959ern, bei denen
Tannine und Frucht bereits hinwegschmelzen,
intakt und die „Rumtopfigkeit“ des
überheißen Jahres ist nur mit einem sanften
Hauch präsent. So bleiben Saftigkeit
(„rôti“) und Opulenz in seltener Balance.
Wir finden Trockenfrüchte, Maulbeere,
Zedernholz, Kakao, Moos, komplexe Tiefe,
all das gebettet auf animierend mineralischer
Salzigkeit mit einem mystischen Flair
von Asche.
Diese Geruchsaura führt meine Gedanken
zum englischen Romantiker Percy Bysshe
Shelley, der 1822 im Golf von La Spezia
ertrank und dessen Leichnam am Strand
von Viareggio verbrannt wurde. Der Augenzeuge
Edward John Trelawny (nicht der
ebenso anwesende Byron, der den Anblick
nicht ertragen habe) schildert die Vorgänge
detailgetreu: „… Nach Öl und Salz wurde
mehr Wein über Shelleys sterbliche Überreste
gegossen, als er zu Lebzeiten je
getrunken hatte.“ Die solcherart gewonnene
Asche wurde dann nach Rom gebracht
und am protestantischen Friedhof mit dem
gewünschten Vers geziert:
Nothing of him that doth fade/But doth suffer a
sea change/Into something rich and strange.
Diese Worte besingen (prophetisch) nicht
nur seines Schöpfers stürmische Seele,
sondern genauso trefflich die Wirrnisse
eines schweifenden Geistes, der sich in
unserem Weine verliert. Die letzten
Depotreste wollen auf der Zunge nicht
zergehen: Nicht nur in Louis Fourniers
Gemälde trotzt Shelleys Antlitz den Flammen.