Dienstag, 18. September 2012

Château Petrus 1947 (Appellation Pomerol)

Oskar Kokoschka gilt vielen Kritikern als der
bessere Maler. Der Markt und das Publikum
bevorzugen Gustav Klimt. Ähnlich ist es um
Château Petrus bestellt. Fabulöse Preise
bedingen Mythos und Ehrfurcht. Wie bei
Klimt wollen wir aber das Entscheidende
nicht übersehen: Die erstaunlich zarten und
nicht geschönten Gesichter finden das Herz
des Betrachters, trotz oder wegen des
Pathos an überbordender Ornamentik.
Besinnen wir uns mit Roland Barthes auf das
Wesen des Mythos: Er ist keine Idee, kein
Begriff, sondern schlicht eine Aussage.
Die Wirklichkeit ist, dass auch Petrus nur
Traubensaft vergärt, der in manchen Jahren
zum großen Wein heranreift.
Komplex und vergänglich präsentierten sich
auch die beiden bestgepflegten Flaschen (ex
Château und die Händlerabfüllung van der
Meulen – vom Sammler umgekorkt) des
Jahrganges 1947 bei der Öffnung im Wiener
Palais Coburg. Sie zeigten ihre Entwicklung in
goyahafter oder – bleiben wir bei unserem
Bild – klimthafter Schonungslosigkeit.
Während sich die Händlerfüllung im Glas
großartig, aber unaufhaltsam ins tertiäre Land
verabschiedete (Trüffel!), glänzte die
Château-Füllung mit fleischiger, samtiger
Konsistenz und labender Fruchtsüße. Die
geringe Säure führte zu einem geradezu
filigranen Gesamteindruck. Im Grundton
schwebte deutlich die pomeroltypische
„Pflaumenwürze“ über einem Karamellbett.
Einzigartig, ja revolutionär war für mich der
konsequente, edle Parfum-Ton, der von
Süskinds olfaktorischer Schöpfung Jean-
Baptiste Grenouilles kreiert sein könnte:
Wohl aus Pomeranzenblüten, Piment und
etwas Unheimlichem (Patchouli auf Frauenhaar?).
Wem das Flaschenglück so hold ist,
erlebt Ähnliches wie der Kunstfreund im
Oberen Belvedere in Wien, wenn er unter
die güldene Flächenhaftigkeit der Klimt-Bilder
einzutauchen vermag: zutiefst Menschliches.
Wer hat sonst solch‘ geschlossene Augen
gemalt, die ganz sicher nicht schlafen!? Nicht
Klischees oder Jubiläen (auch wenn Gustavs
150. Geburtstag dräut) bewegen uns, son-
dern Klimts Wimpern oder Parkers Tränen
beim Genuss eines besonderen Petrus.